PRESSEERKLÄRUNG 19.11.2024
Wir Mitglieder der Aufarbeitungskommission des DHB, Jeannine Ohlert, Benny Barth, Martina Lörsch, Angela Marquardt, Bettina Rulofs und Meike Schröer, geben folgende Stellungnahme zum Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15.11.2024 ab, mit dem unsere weitere Arbeit untersagt wird: Das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15.11.2024 stoppt bis auf Weiteres die unabhängige Aufarbeitung von Hinweisen auf Grenzverletzungen und Machtmissbrauch im Handballsport, die im Zusammenhang mit dem Trainer André Fuhr in den Medien und gegenüber der Anlaufstelle gegen Gewalt berichtet worden waren.
Der DHB hatte die Aufarbeitung an uns als eine externe und unabhängige Aufarbeitungskommission übergeben. Das Urteil wird unter anderem damit begründet, dass die Satzung des DHB es nicht vorsähe, eine solche externe Kommission zur Aufarbeitung einzurichten. Zudem müsste zunächst ein Verfahren nach der Trainerordnung durchlaufen werden.
In der Satzung des DHB heißt es jedoch zu Zweck und Aufgaben in § 2p auch: „Der DHB verurteilt jegliche Form von Gewalt, unabhängig davon, ob sie körperlicher, seelischer oder sexualisierter Art ist und ergreift konkrete Maßnahmen, um diese zu verhindern.“ Um konkrete Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt zu ergreifen, die nicht nur auf allgemeine oder punktuelle Erkenntnisse gestützt sind, sondern die konkrete Situation im Verband adressieren, ist die Aufarbeitung bekanntgewordener Fälle unabdingbar. Nur in dieser Analyse können Strukturen und Mechanismen, die die Ausübung von Gewalt begünstigen können, identifiziert werden. Ein Sanktionsverfahren nach § 12 der Trainerordnung hat hingegen eine andere Zielrichtung: Es geht nicht um eine Fehleranalyse, sondern um eine mögliche Sanktion von einzelnen konkreten Verstößen gegen die Trainerordnung. Zudem werden nur Sachverhalte betrachtet, die nicht länger als vier Jahre zurückliegen. Die Meldungen, die von der Aufarbeitungskommission untersucht wurden, bezogen sich jedoch auch auf Vorfälle, die weitaus länger zurücklagen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Aufarbeitungsprozesse vor allem da ansetzen, wo Betroffene lange Zeit geschwiegen haben. Gewaltausübung in Systemen, die für das sportliche Vorankommen von Betroffenen extrem wichtig sind, wird auch von den Betroffenen oftmals zunächst aus Selbstschutz verharmlost und kann oft erst dann benannt werden, wenn keine Abhängigkeit mehr vom System besteht. Wie sollen der DHB oder ein anderer Sportverband seinem satzungsgemäßen Schutzauftrag gerecht werden, wenn eine umfassende Aufarbeitung erst dann möglich sein soll, wenn verbandsinterne Sanktionsverfahren abgeschlossen sind? Eine solche Verknüpfung verkennt Ziel und Inhalt einer Aufarbeitung. Aufarbeitung bedeutet, berichtete Vorfälle von Gewalt und Grenzverletzungen – unabhängig davon, ob sie ggf. überhaupt oder wegen Zeitablaufs noch sanktionierbar sind – systematisch zu beleuchten. Es geht darum, das Erleben der Betroffenen sichtbar zu machen. Dabei die vorhandenen – oft auch unterschiedlichen – Perspektiven der Beteiligten auf solche Vorfälle zu hören, daraus zu lernen und Schlussfolgerungen für den zukünftigen Schutz vor Gewalt und Machtmissbrauch zu ziehen. Durch das Urteil wird somit in der aktuellen Situation ein ganzheitlicher Prozess verhindert, der dem Schutz vor Gewalt und Grenzverletzungen in Sportverbänden und – vereinen gedient hätte.
Die Situation des DHB und das Urteil des Landgerichts Dortmund zeigen, dass ein Trainer allein dadurch, dass er auf ein fehlendes rechtliches Verfahren nach der Trainerordnung hinweist, den gesamten Prozess stoppen konnte. In Aufarbeitungsprozessen werden auch und gerade die Stimmen Betroffener, unabhängig von der Sanktionsfähigkeit des von ihnen Erlebten, hörbar gemacht. Die Kommission hatte selbstverständlich auch dem Trainer André Fuhr die Möglichkeit eines Gesprächs angeboten, in dem er seine Sicht auf die Vorwürfe hätte darlegen können. Gerügt wurde von ihm jedoch, dass ihm im Vorfeld nicht die Berichte derer vorgelegt wurden, die der Kommission bereits berichtetet hatten, denn dies würde seine Verteidigungsrechte einschränken. Das Gericht ist dem offensichtlich gefolgt. Dabei wird verkannt, dass es im Rahmen einer Aufarbeitung gerade nicht um eine juristische „Verteidigung“ geht, also kein Prozess stattfindet, in dem er Sanktionen fürchten muss und daher die gleichen formalisierten Rechte hat wie in einem Verfahren nach der Trainerordnung. Dass bereits kurz nach dem Urteil beispielsweise die Spielerin Mia Zschocke sofort vom Anwalt von Herrn André Fuhr öffentlich angegriffen wurde und ihr in Verdrehung realer Machtverhältnisse Selbstjustiz vorgeworfen wurde, zeigt sehr deutlich, wie wichtig es ist, Betroffenen auch die Möglichkeit zu geben, Erlebtes ohne Namensnennung erzählen zu können. Wir wünschen uns eine Verantwortungsübernahme des deutschen Sports, Personen, die auf Missstände aufmerksam gemacht haben, vor solchen Angriffen zu schützen. Wir Mitglieder der Aufarbeitungskommission nehmen daher das Urteil mit großer Enttäuschung zur Kenntnis, denn es bedeutet möglicherweise, dass eineinhalb Jahre Arbeit und Gespräche mit insgesamt ca. 50 Personen umsonst sein könnten. Es bedeutet auch, dass die angehörten Personen wohlmöglich den Eindruck bekommen, sie hätten ihre Erfahrungen ins Leere berichtet. Es war und ist uns jedoch, ein wichtiges Anliegen, diesen Aufarbeitungsprozess zu Ende zu bringen. Nach diesem Urteil stehen zukünftige Aufarbeitungsprozesse im Sport nun auf wackeligen Beinen, auch wenn das Gericht von einer Einzelfallentscheidung spricht. Es besteht somit dringender Bedarf, Aufarbeitung im Sport rechtlich und organisatorisch zu regeln. Im Hinblick auf das vom Bundesministerium des Inneren geplante Unabhängige Zentrum für Safe Sport wird deutlich, dass eine solche externe Clearingstelle im Sport dringend nötig ist, und dass diese Stelle sowohl Ressourcen als auch Kompetenzen benötigt, externe (von den Sportverbänden unabhängige) Aufarbeitung rechtssicher zu leisten. Wir Mitglieder der Kommission werden uns unabhängig vom weiteren Verlauf des Verfahrens weiter dafür engagieren, dass Sportverbände Aufarbeitungsprojekte angehen und Betroffene angehört werden, um daraus für den zukünftigen Schutz im Sport zu lernen. Sollte der DHB die Angelegenheit weiter gerichtlich klären lassen, begrüßen wir dies ausdrücklich.