Ein wichtiges Regelwerk für mehr Schutz vor interpersonaler Gewalt im Sport – mit Schwachstellen
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat am 23. Oktober 2024 einen Safe Sport Code veröffentlicht. Damit will der Dachverband des organisierten Sports erstmals die verbandsrechtliche Grundlage schaffen, um interpersonale Gewalt im Sport auch unterhalb der Strafrechtsschwelle rechtssicher ahnden und sanktionieren zu können.
Safe Sport e.V. begrüßt die damit verbundene Zielsetzung, mit einem Regelwerk zur Verhinderung und Bekämpfung von interpersonaler Gewalt im Sport eine Kultur des Hinsehens und des Handelns zum Schutz von Betroffenen zu stärken. Damit setzt der DOSB ganz konkret Handlungsempfehlungen um, die aus den Ergebnissen empirischer Studien wie »Safe Sport« (2016) oder SicherImSport (2023) abgeleitet wurden.
Defizite im Prozess der Entwicklung des Safe Sport Codes
In der Entwicklung des DOSB Safe Sport Codes gab es allerdings keine systematische Beteiligung von Betroffenen. Erst gegen Ende wurden in einer kurzfristig angesetzten Konsultationsphase Safe Sport e.V. und Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, Einschätzungen zu dem weitgehend finalen Regelwerk zu geben. Damit unterläuft der DOSB seine eigene Menschenrechtspolicy. „Ein Code, der ohne systematische Betroffenenbeteiligung entstanden ist, spiegelt nicht den Bedarf und die Bedürfnisse derer wider, die diese Unterstützung am dringendsten brauchen“, erklärt Gitta Schwarz, Vorständin von Safe Sport e.V..
Im Entstehungsprozess hat zudem keine systematische Kopplung mit dem Aufbauprozess des unabhängigen Zentrums für Safe Sport (ZfSS) stattgefunden. Das Zentrum wird in Federführung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) im Rahmen eines umfassenden Stakeholderprozesses konzipiert und soll eine zentrale Rolle bei der unabhängigen Intervention und Aufarbeitung von interpersonaler Gewalt im Sport einnehmen. Mit Hinweis auf die Autonomie des Sports hat der DOSB die Entwicklung eines eigenen Safe Sport Codes in diesem Jahr parallel zu dem vom BMI initiierten Stakeholderprozess forciert.
Empfehlungen von Safe Sport e.V. sind teilweise in den Safe Sport Code aufgenommen worden
Safe Sport e.V. hat in der Konsultationsphase Defizite des vorgelegten Safe Sport Codes markiert und Empfehlungen zur Änderung oder Erweiterung des Regelwerkes eingebracht. Zu denjenigen, die in den Safe Sport Code Sport integriert worden sind, gehört u.a. eine explizite Verankerung von Betroffenenrechten (Art. 13), die zuvor nicht vorgesehen waren; ebenso Ausführungen zu Zielen und der notwendigen Unabhängigkeit von Aufarbeitungsprozesses (Art. 17). Aufgenommen wurde auch, dass das Untersuchungsverfahren auf eine verbandsexterne Stelle wie das Zentrum Safe Sport übertragen werden kann (Art. 8). Mit Blick auf eine betroffenengerechte Verjährungsregelung, wurde jedoch die Tatsache, dass Betroffene oft Jahre benötigen, den Mut aufzubringen, um ihre Geschichten zu erzählen, in der vorliegenden Version des Safe Sport Codes nicht angemessen berücksichtigt.
Lücken im Safe Sport Code, die dringend geschlossen werden sollten
Um das Anlegen des Gesamtprozesses Safe Sport – Schutz vor, Hilfe bei und Aufklärung von interpersonaler Gewalt im Sport – sicherzustellen, sind aus Sicht von Safe Sport e.V. zeitnah noch Lücken zu schließen. Diese sind vorrangig:
- Sicherstellung der Wahlfreiheit für Betroffene: Betroffene müssen sich in ihrem jeweiligen Einzelfall frei entscheiden können, durch welche Stelle die von ihnen erfahrene oder beobachtete interpersonale Gewalt meldetechnisch aufgenommen und bearbeitet wird, ohne ausschließlich auf sportinterne Entscheidungen und Wege angewiesen sein zu müssen und der Gefahr der Retraumatisierung ausgesetzt zu sein.
- Spezifizierung von Übertragungspflichten: In Ergänzung zu der generellen Option der Übertragung von Zuständigkeiten auf verbandsinterne Stellen sollten im Safe Sport Code Normen ausgearbeitet werden, wann Sportorganisationen ihre Zuständigkeiten auf externe Organisationen – wie das Zentrum für Safe Sport – zwingend übertragen müssen (bspw. bei Interessenkonflikten, strukturellen Defiziten).
Prof. Ilse Hartmann-Tews, Vorständin von Safe Sport e.V., resümiert: „Der Safe Sport Code hat – ungeachtet der noch vorhandenen Lücken – das Potenzial, den angestrebten Kulturwandel zur Bekämpfung von interpersonaler Gewalt zu stärken. Seine volle Wirksamkeit zum Schutz von Betroffenen und der Stärkung der Integrität von Sportorganisationen wird er nur zusammen mit dem unabhängigen Zentrum für Safe Sport entfalten können. Wir erwarten, dass der DOSB und seine Mitgliedsorganisationen diese Chance systematisch aufgreifen.“
Perspektiven im Safe Sport Prozess
Um eine unabhängige Intervention und Aufarbeitung für alle Sportorganisationen evidenzbasiert und rechtssicher zu gestalten, müssen ergänzend zeitnah verbindliche Standards entwickelt werden. Dies sollte unseres Erachtens federführend durch das Zentrum für Safe Sport und in Kooperation mit Stakeholdern aus dem organisierten Sport gestaltet werden. Eine Evaluation der Implementierung und Wirksamkeit des Safe Sport Codes sollte ebenfalls federführend von einer externen, unabhängigen Einrichtung durchgeführt werden, in der Betroffene ebenso systematisch einbezogen werden wie Führungskräfte der Verbände und Expert:innen aus der Wissenschaft.
Safe Sport e.V., dessen Vorstand mit Prof. Dr. Ilse Hartmann-Tews und Gitta Schwarz bei der Mitgliederversammlung Ende Oktober wiedergewählt wurde, wird sich im Safe Sport-Prozess weiterhin intensiv für die Stärkung der Betroffenenrechte im Sport einsetzen.
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